Diesmal habe ich lange überlegt, mit welchem “Bild des Monats” ich das neue Jahr beginne. Passend zur Jahreszeit sollte es ein “kaltes” Foto sein. Also zeigt es einen Eisberg, der im Miles Lake in Südost-Alaska schwimmt. Er stammt vom rund 50 Kilometer langen Miles Glacier, der in westlicher Richtung strömt und aus den rund 2000 Meter hohen Chugach Mountains kommt – ein gewaltiger rund 500 Kilometer langer Gebirgszug. Als Passagier habe ich zusammen mit erfahrenen Piloten dieses “Königreich der Berge Nordamerikas” oft mit dem Buschflieger oder Helikopter überflogen. Eine überwältigendere Welt aus Eis und Schnee ist kaum vorstellbar. Allein die Abbruchkante des Miles Glacier ist rund 3,5 Kilometer breit. Das Eis schimmert je nach Witterung türkisblau oder silbergrau. Die Spalten im Eis wären geeignet, um ganze Güterzüge zu verschlucken. Kein Vogel ist zu hören, kein Grün zu sehen. Nur das unaufhörliche Knistern und Knacken des Eises ist zu vernehmen, das die Luft zu elektrisieren scheint.

“Eingefrorene Gelenke”

Das Foto habe ich aus meinem Kanu heraus gemacht, einem offenen und wildwassertauglichen Expeditionskanadier aus Hypalon. Dieses Material ist optimal für extreme Bedingungen geeignet. Ich war zusammen mit meinem Kumpel Mike unterwegs. Wir hatten zuvor die zusammen mehr als 600 Kilometer langen Gletscherflüsse Chitina und Copper befahren, die in den Miles Lake münden. Ich habe sehr zwiespältige Erinnerungen an diesen See. Wetter und Sicht waren an diesem Fototag schlecht. Unmittelbar vor dem See mussten wir die Abercrombie Rapids meistern. Eine wilde Passage, bei der wir viel Wasser aufnahmen, das eine konstante Temperatur von 1° C hat. Stundenlang  knieten wir im Kanu in diesem milchigen Gletscherwasser. Am Ufer ist es dann immer eine echte Herausforderung, mit “eingefrorenen Gelenken” aus dem Kanu zu klettern.

Eine neugierige Bärenfamilie

Zu allem Überfluss mussten wir das Kanu aufgrund einer an diesem Tag unfahrbaren Passage vom Ufer aus treideln. Genau in einem Bereich, den sich eine Braunbärin mit ihrem Nachwuchs als Revier auserkoren hatte. Wildwasser, heraufziehende Dunkelheit, Kälte und Nässe plus Bären – wir hatten schon bessere Tage in Alaska. Also jagte ich der dreiköpfigen Bärenfamilie Leuchtspurmunition über die Schädel, deren Flug sie interessiert und ohne jede weitere Regung verfolgte. Das hatte ich erwartet. Durch den Knall von Schüssen lassen sich Bären, die im Sommer Tag für Tag das ohrenbetäubende Krachen kalbender Gletscher hören, nicht beeindrucken. Dennoch waren ihnen die zwei seltsamen Gestalten, die roten Leuchtspuren in der Luft und der Pulvergeruch nicht ganz geheuer. Nach einer Weile verzog sich die kleine Familie schließlich in den Schutz des nahen Waldes.

Klapperndes Kochgeschirr

Unser Zelt bauten wir erst auf, als die Dunkelheit nicht mehr ignoriert werden konnte. Das überraschend viele Eis im See und die ständige Gefahr sich drehender Eisberge, die dann entsprechende Flutwellen auslösen können, ließen uns den See viel langsamer überqueren als geplant. Entspannung wollte sich nach der Passage nicht einstellen: Im Schein unserer Stirnlampen sahen wir rings um den Lagerplatz viele Trittsiegel von Meister Petz, also banden wir vor dem Schlafengehen unser klapperndes  Kochgeschirr in Bodenhöhe an Tampen. Wir setzten darauf, dass sich allzu neugierige Bären rechtzeitig verraten, sollten sie unserem Zelt zu nahe kommen. Geschlafen haben wir in dieser Nacht beide nicht gut …

Foto: Miles Lake, Alaska. Canon EOS 600, f/1:2.8-3,8, 28-105 mm, Fuji Sensia 200.

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