Kein ernsthafter Text, der Huskys, Musher, ihre Schlitten und die eisigen Winter im arktischen Norden skizziert, kommt ohne die Geschichte vom legendären Serum Run to Nome aus. Die knapp 100 Jahre zurückliegenden Ereignisse lesen sich wie ein Krimi, ein großes Drama mit glücklichem Ausgang, trotz vieler Menschenleben, die verloren gingen.

Fliegen ist unmöglich

Dezember 1924 / Januar 1925: Der Jahreswechsel ist selbst für diese Breitengrade ungewöhnlich kalt an der Nordwestküste Alaskas. Hier liegt das Örtchen Nome, das während des Polarwinters von der Außenwelt nahezu abgeschnitten ist. Noch ist die Flugzeugtechnik nicht so weit entwickelt, dass Winterflüge in extremer Kälte mit einem Mindestmaß an Sicherheit möglich sind. Drei Flugzeuge gibt es in diesen Tagen in Alaska – mit offenen Cockpits und wassergekühlten Motoren. Die erfahrenen Piloten sind zu dieser Jahreszeit im Süden tätig, tausende Kilometer entfernt. Straßen gibt es nicht, die von Nome enden am Ortsrand.

Lediglich Musher mit ihren Huskys sind im Winter in der Lage, eine Verbindung vom südlich von Fairbanks im Binnenland gelegenen Ort Nenana bis nach Nome aufrechtzuerhalten. Rund 1100 Kilometer beträgt die Entfernung, für die Hundeschlittenführer normalerweise rund 25 Tage benötigen. Sie transportieren insbesondere Post durch das Herz Alaskas, damals wie heute eine Wildnis, die keine Fehler verzeiht. Nach Nenana gelangt die Post per Bahn von Seward aus, dem nächstgelegenen eisfreien Hafen – weitere 400 Kilometer entfernt. Zusammengenommen also gut 1500 Kilometer, die heute unter dem Namen Iditarod Trail berühmt sind.

Nur ein Arzt weit und breit

Im Winter 1924/25 ist Curtis Welch der einzige Arzt in Nome, als er ein zweijähriges Kind vom Volk der Athabasken, den Ureinwohnern in diesem riesigen Landstrich, untersucht. Er diagnostiziert zunächst eine Mandelentzündung, keine 24 Stunden später verstirbt das Kind jedoch. In den folgenden Tagen teilen mehr und mehr Menschen dieses Schicksal, bis aufgrund der Symptomatik klar ist, dass es sich um Diphtherie handeln muss, die sich schnell zu einer Epidemie ausweiten könnte. Doch es gibt Hoffnung, das weiß Curtis Welch: Dieser schweren bakteriellen Infektion, die mittels Tröpfchen übertragen wird, kann mit Impfungen entgegengetreten werden. Doch woher das Serum, ein Antitoxin, nehmen? In Nome gibt es viel zu wenig Einheiten des lebensrettenden Stoffes – und selbst die sind abgelaufen.

Ein Hilferuf

Am 22. Januar telegrafiert Welch schließlich an das United States Army Signal Corps und nach Washington. Alle Siedlungen Alaskas werden daraufhin vor der drohenden Gesundheitsgefahr gewarnt. Rund 10.000 Menschen leben zu dieser Zeit im Nordwesten des Territoriums (49. Bundesstaat der USA wird Alaska erst 1959). Während der Arzt telegrafiert und daraufhin auf höchster Ebene Lösungen diskutiert werden, sterben zwei weitere Menschen, zwanzig sind bereits infiziert. Die Sterberate liegt bei annähernd 100 Prozent.

Nach langem Hin und Her entscheidet das Gesundheitsministerium schließlich, dass das Serum auf der entscheidenden letzten Strecke per Hundeschlittenstaffel nach Nome zu bringen ist. Um das umsetzen zu können, sollen zunächst 1,1 Millionen Einheiten mit der Alameda auf dem Seeweg nach Seward verfrachtet werden – Dauer dafür allein sechs bis sieben Tage.

Hilfe aus Anchorage

Plötzlich zeichnet sich jedoch eine schnellere Lösung ab: John Beeson, leitender Chirurg am Railroad Hospital in Anchorage, stellt am 26. Januar 300.000 Einheiten des Serums zur Verfügung. Das reicht zwar nicht, um die Epidemie vollständig zu stoppen, doch könnte sie zumindest so lange eingedämmt werden, bis weiterer Nachschub kommt. Schon einen Tag später trifft ein 9 kg schweres Paket am Bahnhof in Nenana ein. Der Musher Bill Shannon nimmt es um 21:00 Uhr in Empfang. Ihn und seine neun Hunde erwartet ein 84 Kilometer langes Teilstück. Die Temperatur liegt bei unter -40° C. Das Serum darf jedoch unter keinen Umständen gefrieren. Am Ende übergibt er die wertvolle Ladung mit nur noch sechs Hunden und schweren Erfrierungen im Gesicht an Edgar Kallands.

Zusammenstoß mit einem Karibu

Insgesamt 20 Musher, die besten ihrer Zunft und zum Großteil vom Volk der Athabasken, werden eingesetzt. Die Strecke verlangt ihnen alles ab: Myles Gonangnan übersteht einen Sturm mit Temperaturen von -53° C. Der Schlitten von Henry Ivanoff stößt mit einem Karibu zusammen, und Charlie Evans erfrieren zwei Hunde, weil er vergisst, ihre Pfoten mit Hasenfell zu schützen. Die längste Teilstrecke über 146 Kilometer legt der Norweger Leonhard Seppala mit seinem Leithund Togo zurück. In seiner Heimat, dem nordnorwegischen Skibotn, errichtet man dem Musher später ein Denkmal. Leithund Togo stirbt am 5. Dezember 1929. Noch heute kann er ausgestopft im Iditarod-Museum im alaskischen Wasilla betrachtet werden.

Suche im Schnee

Die letzte Etappe von Bluff nach Nome übernimmt schließlich Gunnar Kaasen. Ein Sturm wirft seinen Schlitten um. Er zieht sich Erfrierungen an den Händen zu, als er im Schnee nach dem heruntergefallenen Paket sucht … Schließlich erreicht er die Front Street von Nome am 1. Februar um 5:30 Uhr. Keine Ampulle ist zerbrochen, das Antitoxin ist nicht gefroren. Die Teams haben für 1085 Kilometer 127,5 Stunden benötigt. Die Epidemie kann eingedämmt werden, auch weil eine zweite Lieferung ebenfalls per Hundeschlitten am 15. Februar in Nome eintrifft. Ein Versorgungsflug hat bis dahin aufgrund technischer Probleme immer noch nicht geklappt…

Das Foto zeigt ein Gespann von der Husky-Farm-Veijejaur in Schwedisch-Lappland. Ich bin immer wieder von Huskys beeindruckt. Von ihrem unbändigen Willen und der spürbaren Freude, wenn sie einfach nur rennen und ziehen dürfen. Und wenn ich als Musher tatsächlich mal bremsen muss, ernte ich von mindestens zwei meiner vierbeinigen Begleiter verwunderte Blicke über die Schultern hinweg. Sie haben eine eindeutige Botschaft für mich: „Was bist Du eigentlich für ein Trottel, es gibt keinen Grund fürs Bremsen!“

Foto: Hundeschlitten, Schwedisch-Lappland. Canon EOS 6D Mark II, DG HSM Art F 1.4, 85 mm, 1/1000 sec, f/3,2, ISO 500.

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