Insbesondere im Winterhalbjahr fotografiere ich gelegentlich im Rahmen von Auftragsarbeiten die Abenteuer von Führungskräften und manchmal auch ihrer Geschäftspartner, die sich „ein unglaubliches Winterparadies am Polarkreis“ irgendwie verdient haben und deshalb auf Kosten ihrer Konzerne Nordlichter bestaunen, auf Hundeschlitten durch den froststarren Wald chauffiert werden oder als „Testfahrer“ auf den zugefrorenen Seen Lapplands rot-weiße Kegel mit den neuesten Modellen der Automobilindustrie überfahren dürfen.
„Incentive“ nennt sich das in der Sprache der Personalwirte und Marketingexperten und ist nichts weiter als ein Anreizsystem, um Mitarbeiter bzw. Kunden leichter für ein gewünschtes Verhalten gewinnen zu können. Zu den Höhepunkten einer solchen Mehrtagesveranstaltung gehört für viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer das Driften mit Buggys auf speziell präparierten Schnee- und Eispisten. Mit Schlagworten wie „Adrenalinrausch“ und „Hochgeschwindigkeits-Action“ locken Veranstalter rund um den Polarkreis für ein solches „Spektakel inmitten der Stille schneebedeckter Landschaften“.
Das Fahrerteam auf dem Foto habe ich im März abgelichtet, zu einer Zeit also, in der die Tage mit Sonnenlicht schon wieder länger und deutlich wärmer werden. Nun macht es wieder Spaß stundenlang in der Natur zu sein, ohne dass man sich ernsthafte Gedanken um von der Kälte taube Füße und steifgefrorene Finger machen muss. Jetzt bricht eine Zeit im Jahr an, in der auch die Einheimischen ihre Schneescooter hervorholen, einen Eisbohrer aufschnallen und zum Eisfischen mit Kind und Kegel auf die bis nach Ostern zugefrorenen Seen fahren. Im Januar würde ein Großteil von ihnen nicht einmal dran denken, denn dann ist es in aller Regel viel zu kalt und viel zu schnell wieder dunkel.
Rodeln mit den Kleinen
Aus Buchungsanfragen für unser Ferienhaus in Arjeplog kann ich regelmäßig entnehmen, dass beides, Kälte und Polarnacht, von Touristen aus Mitteleuropa unterschätzt wird. Hinzu kommt eine im Vergleich zu den Wintersportorten der Alpen deutlich weniger entwickelte Infrastruktur. Ein Klassiker der uns erreichenden Anfragen ist der Wunsch nach einem „Rodelurlaub für unsere zwei Kleinen im Alter von drei und fünf Jahren“ … Auch wenn es bei uns eine Schneegarantie gibt, so ist die Anfrage angesichts der Bedingungen in der Subarktis zur Weihnachtszeit doch einigermaßen grotesk. Obwohl wir entsprechende Begehren natürlich höflich und geduldig beantworten, wünschte ich mir, dass sich mehr Reisende im Vorfeld zumindest rudimentär darüber informieren, unter welchen Rahmenbedingungen sie urlauben würden. „Können wir mit dem Zug anreisen?“, ist eine weitere häufig gestellte Frage. Ja, das ist in der Theorie auch im Winter möglich. Jedoch ist der nächstgelegene Bahnhof zwei Autostunden von Arjeplog entfernt, und am Zielbahnhof gibt es außer einem geheizten Warteraum nichts, wirklich nichts. Keinen Mietwagenverleih, keinen Taxistand, kein freundliches Auskunftspersonal hinter einem mit Fichtengrün liebevoll dekorierten Schalter, keinen heißen Kaffee, keinen Snack. Nur Dunkelheit, Stille und ein von Neonlicht beleuchtetes Gleis. Und sollten Gäste doch irgendwie ohne eigenen bzw. gemieteten fahrbaren Untersatz Arjeplog erreichen, würde schon der fünfzehnminütige Spaziergang vom Supermarkt zurück zum Ferienhaus eine Herausforderung sein. Es sei denn, die Planung sieht aus einem sonderbaren Grund vor, die zuvor eingekaufte Milch bei einer jederzeit möglichen Außentemperatur von -30 °C zum Scheibeneinschlagen nutzen zu wollen.
Damit kein Missverständnis aufkommt: Dezember und Januar sind großartige Wintermonate im hohen Norden Skandinaviens, die im positiven Sinn unvergessliche Erlebnisse versprechen können. Jedoch sollten das Wissen über und das Verhalten im Urlaubsziel im Einklang mit der Realität stehen. Ansonsten sind Enttäuschungen und mitunter gefährliche Situationen nicht ausgeschlossen. Ein aktuelles Beispiel haben jüngst die vielen geretteten Hochgebirgswanderer im Everest-Gebiet abgegeben, die zum Teil festgestellt haben, dass die Mitnahme einer Mütze angesichts eines Schneesturms auf 5.000 Meter Höhe eine gute Idee gewesen wäre …
Foto: „Buggy-Drift“, Schwedisch-Lappland. Canon EOS 6D Mark II, 5,6-6,3, 150-600 mm, DG OS HSM, 150 mm, 1/800 sec, f/5,6, ISO 500
